2012 - 01 - Botschaft aus Stein by Hubert Haensel

2012 - 01 - Botschaft aus Stein by Hubert Haensel

Autor:Hubert Haensel [Haensel, Hubert]
Die sprache: deu
Format: epub


6.

Jesus-Ernesto hatte an diesem Nachmittag nicht viel zu tun. Nur wenige Touristen hatten sich nach Muna verlaufen, das Gros wurde von den Bussen direkt nach Uxmal gekarrt und dort ausgeladen. Obwohl der Kellner vom Tourismus lebte und ein recht ordentliches Auskommen hatte, stand er diesen Leuten oftmals zwiespältig gegenüber. So interessiert sie sich auch geben mochten, häufig steckte wenig Substanz dahinter. Die meisten Besucher wollten Fotos, um zu Hause mit ihrem Dschungelabenteuer zu protzen. Aber wer interessierte sich schon wirklich für Land und Leute?

Jesus-Ernesto rückte die Stühle zurecht und räumte den Tisch ab, den die letzten Gäste ziemlich unordentlich hinterlassen hatten. Geschmeckt hatten ihnen die Enchiladas suizas wohl nicht, denn die Hälfte hatten sie übrig gelassen.

Als der Mexikaner wieder aus dem Haus auf den Gehsteig trat, sah er die beiden Gringos. Sie kamen die Straße entlang, und offenbar gehörten sie zu keiner Reisegruppe. Minutenlang blieben sie neben einem alten VW-Käfer stehen, als ob es da besonders viel zu sehen gäbe.

Amerikaner eben. Jesus-Ernesto war nicht sonderlich gut auf die Leute aus den Staaten zu sprechen.

Suchend schauten die beiden sich um. Den Kleineren und zugleich Korpulenteren mit dem wild zerzausten grauen Haar kannte der Kellner. Jesus-Ernesto hatte den Mann zumindest schon öfter gesehen, und meist war er mit Fremden zusammen gewesen.

Schlagartig fiel es ihm wieder ein. Branson hieß der Mann, und er war kein Amerikaner, sondern stammte weiter aus dem Norden. Er leitete die archäologische Ausgrabung zwischen Muna und Uxmal.

Nur kurz hatte Jesus-Ernesto den Eindruck, Branson und sein Begleiter würden auf seine Seite herüberkommen. Sie entschieden sich aber für Zapopas Restaurant. Seit die Señora das Nebengebäude abgerissen hatte, stand ihr mehr als doppelt so viel Platz wie früher zur Verfügung. Das war nicht gut. Eigentlich sollte jedes Lokal sein Auskommen haben, doch Zapopa fing neuerdings die größeren Gruppen ab.

»El menú, por favor!«

Jesus-Ernesto schreckte aus seinen wenig zuträglichen Überlegungen auf. Er hatte nicht bemerkt, dass ein Gast gekommen war.

»Natürlich«, sagte der Kellner und wischte die letzten Glasränder von der gefliesten runden Tischplatte. Die Karte angelte er sich vom Nebentisch. Es wurde Zeit, das bedruckte Blatt auszuwechseln, das in der Folie steckte. Und die Folie gleich mit, denn beides war von der Sonne ausgebleicht.

Obwohl er danach gefragt hatte, ignorierte der Gast die Karte. Er schaute nicht einmal zu Jesus-Ernesto auf, als er bestellte. Sein Blick ging zur anderen Straßenseite. »Quiero una sopa de aztecas y un agua mineral«, murmelte er, und der Kellner hatte den Eindruck, dass der Mann einfach wahllos irgendwas bestellt hatte.

»Si.« Mehr brauchte der Kellner gar nicht zu sagen. Der Mann saß stocksteif da und reagierte nicht. Er war ungewöhnlich blass, und dass er ausschließlich weiße Kleidung trug, verstärkte diesen Eindruck noch. Als wäre ein Geist auferstanden, einer der ehemaligen Herren von der Hazienda Yaxcopoil, Don Donaciano vielleicht.

Jesus-Ernesto musterte den Mann, während er das bestellte Mineralwasser, Glas und Flasche, zum Tisch brachte. Mit dem Don, fand er, lag er ganz richtig. Jeder Zoll an dem Fremden wirkte erhaben und steif.

»Die Suppe dauert wenige Minuten«, sagte der Kellner. Das tat er selten. Jetzt war es angebracht.



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